Es war einmal eine kleine Raupe. Sie war grün und sah nicht so schön aus, wie die anderen Krabbeltiere in der Wiese – die bunten Käfer oder die schillernden Libellen. Aber ihre grüne Haut war
gut, denn so konnten die hungrigen Vögel sie in den grünen Blättern nicht entdecken.
Die Raupe konnte auch keinen Honig machen wie die Bienen, keine kunstvollen Netze spinnen wie die Spinnen, sie konnte nicht zirpen wie die Grillen, sie konnte nicht
fliegen und nicht summen. Aber das brauchte sie auch nicht, denn eins konnte sie richtig gut: an grünen Blättern sitzen und fressen, fressen, fressen.
Eines Tages aber fraß sie nicht. Die kleine Raupe saß auf ihrem Baum und weinte. ...
Das hörte der Baumgeist. Baumgeister können Traurigkeit nur schwer aushalten. „Warum weinst du so sehr?“ fragte er leise. Die kleine Raupe zeigte
auf eine trockene Hülle, die wie tot unter dem Baum lag:
„Meine beste Freundin ist tot. Wir waren immer zusammen! Gestern haben wir noch gemeinsam im Sonnenschein gesessen und saftige Blätter geknabbert.
Und heute früh... war nur noch dieser Klumpen von ihr übrig. Sie ist nicht mehr da für mich, ich kann sie nie
wieder sehen.“. Und die kleine Raupe schluchzte wieder.
Der Baumgeist runzelte die Stirn und sah nun der Rinde seines Baumes ähnlich.
„Ich hatte schon oft kleine Raupen zu Gast. Und immer nach dem reichlichsten Abendessen waren sie fort – verschwunden! Und nur so
eine braune Hülle blieb zurück - ein Kokon. Kleine Raupe - was Dich heute traurig macht, habe ich schon oft
gesehen...
Warte! Ich werde Dir etwas zeigen.“ Der alte Baumgeist begann seine Flöte zu spielen. Er spielte ein wunderschönes, zartes Lied –
es war das schönste Lied, das die kleine Raupe je gehört hatte. Aber es tröstete sie nicht.
„Ohne meine Freundin macht dein Lied mich noch trauriger. Ich hätte es so gern mit meiner besten Freundin angehört!“
Aber da kamen plötzlich Schmetterlinge. Immer mehr und mehr Schmetterlinge. Blaue, orange, weiße, gelbe, bunte. Sie tanzten zu der Musik ... rundherum um den Baum ... so leicht und so fröhlich
...
„Ja, schau nur, kleine Raupe!“ flüsterte der Baumgeist. „Diese bunten Wesen waren einmal Raupen so wie Du, so wie Deine
Freundin. Du denkst, der Kokon ist das Ende des Lebens...“
Der Baumgeist dachte das nicht? Die kleine Raupe sah ihn verwundert an. Er schüttelte den Kopf. Da begann sie, über das ganze Raupengesicht zu strahlen. „Ich werde
auch so ein schöner, leichter, fröhlicher Schmetterling? O ja, das will ich! Sag mir bitte, wie ich ganz schnell
auch so ein Kokon werden kann. Ich will doch nicht, dass mir meine Freundin wegfliegt. Als Raupe kann ich nicht mit
ihr mitfliegen. Schnell, lieber Baumgeist, mache einen Kokon aus mir!“, bettelte die kleine Raupe. „Das geht nicht, kleine
Raupe. Alles hat seine Zeit. Du musst noch viel fressen, bis Du in einem Kokon schlafen darfst. Wenn es wirklich soweit ist, wirst Du es wissen.“
Die kleine Raupe trocknete ihre Tränen und fing sofort an zu fressen. Und sie gab sich viel Mühe dabei, denn jeder Bissen
war nun wichtig für sie, wie ein Schritt zu ihrer Verwandlung.
Einmal war die kleine Raupe mit vielen anderen auf der großen Wiese zur Raupen-Konferenz geladen. Viele Raupen waren da zusammengekommen. Sie wollten zuhören, was die klugen, gelehrten Raupen zu
sagen hatten. Denn die hielten wichtige Vorträge, z.B. über die rechte Ernährungsweise, über die schnellste Art der Fortbewegung und ähnliche Themen, wie sie eben für das Gehirn einer Raupe
interessant und wichtig sind.
Plötzlich stand die kleine Raupe auf, nahm ihren Mut zusammen und fing an zu sprechen: „Schwestern“, sagte sie, „ich sage euch ein großes Geheimnis. Der Kokon ist nicht das Ende des Lebens. Wir
werden fliegen, ich weiß es ganz bestimmt, mit zwei seidenen Flügeln, direkt der Sonne zu…!“
Es wurde ganz still in der Runde nach diesen Worten. Die ganze Versammlung war erstarrt. Alle die klugen, ehrenwerten Raupen schüttelten die Köpfe über diese Dummheit.
„Die ist ja nicht ganz richtig im Kopf! Am besten wir bringen sie in ein Krankenhaus!“.
Andere sagten: “So eine Angeberin, die denkt wohl, sie weiß mehr als wir?“
Die meisten aber kümmerten sich nicht weiter um diesen verrückten Einfall der kleinen Raupe und krochen eilig zum nächsten Kohlkopf.
Die kleine Raupe wunderte sich. „Seltsam, sie wollen das wunderschöne Geheimnis gar nicht wissen!“
Die kleine Raupe kroch wieder auf ihren Baum und fraß weiter.
Und eines Tages fühlte sie es. Sie wurde müde...sooo müde – es wurde wohl nun Zeit, auszuruhen. „Ist nun wirklich alles gut so?“ „Muss ich wirklich keine Angst haben?“
Aber dann wusste sie, was sie tun musste. Sie begann feine Fäden zu spinnen und hüllte sich selbst darin ein. Ganz rundherum. Sicher und geschützt.
Schon wollte sie einschlafen da kam ein großer Schreck über sie: „Lieber Baumgeist, aber wie werde ich meine beste Freundin dann erkennen??“. Der alte Baumgeist schaute
durch die grünen Blätter und lächelte. „Wie hast Du sie denn als Raupe erkannt? Mit dem Herzen!“
Da schlief die kleine Raupe friedlich ein. Schnee fiel und deckte den Raupenkokon zu, aber das merkte sie gar nicht. Der Schnee taute und im Kokon bewegte sich etwas. Es erwachte zu Leben, reckte
und streckte sich und brachte den Kokon zum Platzen. Und da konnten ihn alle sehen - den wunderschönen Schmetterling!
Anwendung+Material:
Die Geschichte ist aus mehreren anderen Geschichten (u.a. Grit Pensold: Die kleine Raupe und die Veränderung) und eigenen Ideen zusammengebastelt
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